Agil 4.0: Neustart für die Agilität (Teil 4)

Agiles Management als organisationale Kulturentwicklung einzuführen ist sehr viel herausfordernder als nur das Projektmanagement agiler zu gestalten. Das war vor 25 Jahren die Grundidee des Ansatzes, doch inzwischen ist klar, dass es umfassendere Transformation erfordert, um ein Team oder eine Organisation als Ganzes agiler und damit zukunftsfähiger zu machen. Agile Transformationen brauchen deshalb eine professionelle Begleitung – und zwar mit Upgrade.

Das Wort Agilität steht hinter dem Antrieb einer illustrierten Rakete

Teil 4: Was Next-Level-Agility noch braucht – und wie sie innovativ macht.

Agilität kann nicht übergestülpt werden, sondern muss nach und nach – am besten iterativ – ins Unternehmen hineinwachsen. Zum Selbstläufer aber wird eine agile Transformation langfristig nur, wenn auf ein paar Extras geachtet wird. Neben einer guten Fehlerkultur und mutmachende Begleitung (› Teil 3) sind dies noch zwei weitere: 

Extra III: Agilitätstraining plus Anschlussfähigkeit 

Dafür ist es sinnvoll, an die schon vorhandene Agilität des Unternehmens selbst anzuschließen. Denn die gibt es immer auch vor einer agilen Transformation: Jedes noch erfolgreiche Unternehmen ist agile im Sinne von beweglich, anpassungsfreudig und innovativ – sonst wäre es nicht mehr auf dem Markt. Gemeint sind hier individuelle Lösungen am Frontend, kleine Inkorrektheiten, die zum Wohle des Kunden geschehen, oder als informelle Abkürzungen, die effizienter zu Entscheidungen führen, die dringend gebraucht werden. Kreative Umgehungen der offiziellen Regeln gab es schon immer und wer erfolgreich Agilität einführen möchte, sollte diese Abkürzungen tunlichst ernst nehmen.

  • Für Transformationsbegleiterinnen und -begleiter bedeutet das, die existierenden Abkürzungen oder kreativen Umgehungen der offiziellen Regeln unter die Lupe zu nehmen, um herauszufinden, was damit erreicht werden soll. Es ist sehr sinnvoll, genau diese schon vorhandenen Lösungen zu stärken, weil dort ein fruchtbarer Nährboden existiert fürs Mitdenken und beweglich Agieren. Wir wissen schließlich schon lange, dass es effektiver ist, vorhandene Stärken zu stärken. Und das gilt auch für die Organisationsentwicklung – und nichts anderes ist eine agile Transformation.

Weil eine agile Transformation immer auch Kulturveränderung bedeutet, muss sie deshalb sorgsam und strukturiert angegangen werden. Die agilen Methoden und Frameworks müssen immer auch kulturell anschlussfähig sein: Ein konservativ aufgebauter Konzern beispielsweise wird nicht direkt mit Retrospektiven starten können. Dafür aber mit leichter zugänglichen agilen Formaten, die nach und nach den Boden für größere Veränderungen bereiten.

  • Hier sollten die Beratungsprofis daran erinnern, dass es für eine erfolgreiche Transformation eigens reservierte Zeiten und geschützte Räume braucht, in denen sich die Mitarbeitenden ausprobieren können, neu und anders zu denken und zu handeln – und zwar mit Rückendeckung der Führung, die auch dann bestehen muss, wenn die Performance zwischendurch einbricht. Sonst gilt: Run frisst Change. Die Veränderung bleibt im Dauerlauf des Alltags auf der Strecke. 

Zuletzt ist auch emotionale Anschlussfähigkeit gefragt: Bei Veränderungen auf die sachliche Ebene zu beharren ist schlichtweg nicht umsetzbar. Veränderungen lösen Gefühle wie Angst und Ärger aus und diese müssen sein dürfen und gehört werden. Angst verhindert neurobiologisch betrachtet Veränderungen, denn sie verbraucht Ressourcen im Gehirn die für das Arbeitsgedächtnis gebraucht werden.

  • Oftmals reduzieren sich Emotionen wie Angst oder Unmut bereits dadurch, dass sie sein dürfen, gehört und verstanden werden. Auch daran erinnert eine gute Transformationsbegleiterin immer wieder und versucht Räume zu öffnen, in denen Emotionen Raum finden und die Individuen die Sicherheit finden, um zwischenmenschliche Risiken einzugehen und konträre Meinungen zu äußern oder sich verletzlich zu zeigen.
Neustart für die Agilität, Next Level Agility, Claudia Thonet

Extra IV: Selbstorganisation plus System 

Agilität 4.0 bedeutet vor allem, die größeren Zusammenhänge zu sehen und Veränderungsdynamiken zu verstehen und ihre Folgen für die Beteiligten transparent zu machen. Dazu gehört auch, die systemischen Bezüge zu achten. Denn Systeme sind einfach stärker als einzelne Individuen.

  • Wer eine agile Transformation erfolgreich begleiten will, kann den Beteiligten Unterstützung und Orientierung durch ein Prozessmodell anbieten. Eine sinnvolle Navigationshilfe im iterativen Vorgehen ist z.B. die systemische Schleife von Roswita Königwieser.

Gleichzeitig ist es wichtig, allen Beteiligten klarzumachen, welche Rolle sie im System spielen – und wie wichtig diese für das ganze System ist. 

  • Beispielsweise ist eine gute Transformationsbegleitung gefordert, auf den oberen Etagen zu vermitteln, wie wichtig ihr Vorbild für das Verhalten des gesamten Teams ist. Dazu gehört auch, klar zu vermitteln, dass die Führungskräfte nicht nur auf Kontrolle, sondern auch auf eigene Entscheidungsmacht verzichten müssen, um die notwendigen systemischen Verschiebungen anzustoßen und echte Selbstorganisation zu ermöglichen. 

Dieser Verzicht fällt oft dem mittleren Management besonders schwer, das Angst hat um die eigene Positionen und Privilegien. Oft ist die Unsicherheit, ob es dann noch gebraucht wird und ob man dort selbst mit den neuen Verhaltensweisen mithalten kann, groß. Deshalb werden oft – bewusst oder unbewusst – die erforderlichen Veränderungen der Machtverhältnisse verhindert.

  • Auch das muss im Blick behalten werden. Damit eine agile Transformation gelingt, sollten die systemischen Macht- und Positionsverschiebungen bewusst angesprochen werden, um zu erklären, warum sie dringlich und wichtig sind. So lässt sich auch starker Schmerz und Verlust, den jede Veränderung mit sich bringt, besser ertragen und verarbeiten.

Fazit: Agilität 4.0 macht innovativ 

Wird eine agile Transformation so umgesetzt, dann hat auch der Vorwurf, dass Agilität verhindert, dass Teams innovativ sind, keinen Bestand mehr. Teams, die wirklich agil agieren, sind per se innovativ. Zum einen, weil sie im iterativen Arbeiten ständig dazulernen und daneben die Möglichkeit haben, Neues auszuprobieren und mit Experimenten zu scheitern. Zum anderen aber auch, weil agile Teams immer sehr divers zusammengesetzt sind – also nicht nur aus Buchhaltern oder Ingenieurinnen bestehen. Und wenn verschiedene Köpfe unter guten Bedingungen zusammen denken und handeln, ist die Innovationskraft sehr viel stärker ausgeprägt als sie es in einzelnen Köpfen in traditionellen Strukturen je sein könnte. Die Methoden und den Mut, neu zu denken und Altes in Frage zu stellen, haben agile Teams nach einer erfolgreichen Transformation ohnehin zur Hand. 

Claudia Thonet

Gründerin/Geschäftsführerin
Expertin für agile Transformation/agile Führung und Teams


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