Agil 4.0: Wie Agilität agiler wird (Teil 1)
Immer mehr Organisationen auch jenseits der IT haben in den vergangenen Jahren agile Arbeitsweisen aus der Softwareentwicklung für sich entdeckt. So ist die agile Idee seit ihrer ersten Einführung vor einem Vierteljahrhundert immer größer geworden – vom reinen Projektmanagement-Ansatz zu einem Konzept für organisationale Kulturentwicklung. Doch was wächst, stößt irgendwann an Grenzen. Manche, die schon immer skeptisch waren, wollen die ganze Idee deshalb nun begraben. Besser wäre es allerdings, Agilität aufs nächste Level zu heben, damit sie sich besser entfalten kann. Denn agiles Arbeiten ist aus der Arbeitswelt der Zukunft nicht mehr wegzudenken. Die Blogserie zu Next-Level-Agility.
Teil 1: Wann Agilität an Grenzen stößt – und warum es keine Alternative zu ihr gibt
Agiles Arbeiten bedeutet, sich schnell an veränderte Marktbedingungen anpassen zu können. Das ist in einer dynamischen Welt gut. Es hat aber auch Kehrseiten, auf die derzeit zunehmend laut – und bisweilen hämisch – verwiesen wird:
Zum ist es zumindest am Anfang nicht gerade unanstrengend, sich auf diese neue Art des Arbeitens einzulassen, weshalb der Umstieg oft nicht gelingt. Agilität funktioniert nicht, so das Urteil.
Zum anderen helfen agile Arbeitsweisen zwar, flexibel zu agieren. Unabhängig von enormen Marktdynamiken machen sie eine Organisation dennoch nicht. Deshalb rennen selbst erfolgreich arbeitende agile Teams Veränderungen nur hinterher, statt sie zu gestalten. Agilität macht unkreativ, heißt es dann.
Drittens, so ein häufiger Vorwurf, gerate durch den agilen Fokus viel zu viel aus dem Blick: Weil er sich auf die methodischen Routinen konzentriert, wird er blind für die wirklich großen Trends, und weil er zu sehr auf die Kundenerwartungen schaut, werden Chancen übersehen. Denn oft ahnen die Kunden ja selbst gar nicht, was sie glücklich sie machen könnte. Das harte Urteil: Agilität verhindert Innovationen.
Manches an diesen Kritikpunkten ist natürlich relevant. In der Absolutheit, mit der sie oft vorgetragen werden, sind sie jedoch unangemessen. Agiles Management zu einem überholten Hype zu erklären oder den Tod der Agilität auszurufen, ist nicht nur voreilig, sondern geradezu gefährlich. Denn es bestärkt nur die Bewahrer, denen Veränderung schon immer missfallen hat. Doch zu finden, dass früher alles besser war oder eh alles schon einmal da war, bringt niemanden weiter. In einer Welt voller Unsicherheiten und Instabilität ist es bitter nötig, neue Lösungen zu finden. Und dazu gehört, Arbeit anders zu organisieren: flexibler, selbstorganisierter, motivierender, menschlicher – agiler eben.
Zu Agilität gibt’s keine Alternative
Dafür gibt es vor allem drei Gründe. Zum einen brauchen Organisationen den Generationenwechsel und Digital Natives an Bord. Die junge Generation aber will nicht mehr im Command and Control arbeiten und wird der klassischen Hierarchie der grauen Herren – wenn überhaupt – nur noch sehr bedingt folgen. Deshalb ist es fatal in Zeiten des viel besprochenen Fachkräftemangels, selbstorganisiertes, agile Arbeiten zu verteufeln: Starre Macht- und Informationsstrukturen schade der eigenen Attraktivität als Arbeitgeber.
Zweitens wird es in unserer zunehmend komplexen Welt und Arbeitswelt auch immer schwieriger, die alten Vorgehensweisen praktisch umzusetzen. Denn sie setzen Kontrolle voraus, die in einer traditionellen Organisation unverzichtbar ist, um unmündige Mitarbeitende in unteren Hierarchieebenen anzuleiten. Doch die Führung hat weder die Kapazität noch die immer breiter werdende Fachkompetenz für eine kleinteilige Anleitung und Kontrolle. Um den immer wieder auftretenden typischen Overload einzelner Fachleute zu vermeiden, muss deshalb viel Zeit und Geld investiert werden, um die ineffizienten Planungszeiträume an die stetig wechselnden Anforderungen anzupassen. Wer seine Mitarbeitenden nicht verbrennen will, setzt deshalb auf ein iteratives Projektmanagement, das einen klaren Fokus auf die priorisierten Aufgaben und schnelle Anpassungen an Marktanforderungen ermöglicht.
Ein dritter Grund, der dafür spricht, auf agiles Management mit Transparenz, Selbstorganisation und verteilter Führung zu setzen, ist, dass auch strategische Planungen immer schwerer werden. Auf strategischer Ebene reicht es schon lange nicht mehr, dass Vorstände im obersten Stock abgeriegelt von Rest über Ausrichtung und Ziele nachdenken und diese dann in Form von KPI und Jahreszielen verkünden. Heutzutage braucht es eine intrinsische Motivation und gemeinsame Ausrichtung aller Mitarbeitenden: Sie ziehen im Idealfall alle mit, bringen eigene Ideen ein und haben innerhalb der täglichen Routine auch die Strategie im Hinterkopf. Tun sie dies nicht, sind Unternehmen nicht nur zu langsam – es fehlt dann auch an Orientierung innerhalb des Dickichts der täglichen Aufgaben.
Achtung vor Standardlösungen!
Der Abgesang auf Agilität ist deshalb voreilig. Denn agiles Management ist und bleibt eine zeitgemäße Antwort auf aktuelle Herausforderungen. Was es allerdings nicht ist: ein schnelles Patentrezept.
Leider wird es dennoch oft so dargestellt und verkauft. Immer wieder ist zu erleben, wie große und kleine Beratungen ihre beliebten agilen Tools verschreiben und Standard-Frameworks verordnen. Agilitätsberatung bedeutet dann oft, sozusagen eine Pille gegen Kopfschmerzen zu verabreichen, statt zu erkunden, wo die Ursache des Schmerzes liegt und diese zu behandeln.
Kunden finden das zunächst verständlicherweise sehr attraktiv, schließlich versprechen Pillen schnelle Linderung. Und im Gegensatz zur langwierigen Reflexion und mühseligen Veränderung des eigenen Verhaltens und der eigenen Haltung ist Standardagilität sehr bequem – auch wenn sie nichts tut gegen das, was den Schmerz eigentlich verursacht, ihn manchmal sogar verschlimmert. Denn die schnellen Pillen wirken nicht überall gleich:
Wenn sie zur Unternehmenskultur nicht passen, weil noch nie selbstverantwortlich gearbeitet wurde, wird niemand die neuen Möglichkeiten nutzen oder sie aktiv vermeiden.
Wenn die Teams nur die Tools stumpf anwenden, fahren sie wahrscheinlich trotzdem weiter die gleichen Routinen – und Agilität macht sie unkreativ.
Wenn die Beteiligten nicht bereit dazu sind, schauen sie auch in agilen Frameworks nicht über den Tellerrand hinaus und machen vielleicht erst recht „Dienst nach Vorschrift“.
Es treten nicht selten unerwünschte Nebenwirkungen auf und bisweilen bewirken die verschriebenen Pillen, sogar das Gegenteil dessen, was versprochen wurde. Und das spielt denen, die Agilität für tot erklären, dankbar in die Karten. Doch das werden wir nicht so stehen lassen.
Ausblick:
Im › zweiten Teil der kleinen Blogserie wird es darum gehen, warum Veränderungen manchmal paradoxe Ergebnisse haben, wann Agilität zu einem wirklich wirksamen Rezept wird und welche Ausreden für das Scheitern von Agilität wir nicht mehr gelten lassen dürfen.