Agil 4.0: Neustart für die Agilität (Teil 2)

Die agile Idee ist seit ihrer ersten Einführung in der Softwareentwicklung vor einem Vierteljahrhundert immer größer geworden – vom reinen Projektmanagement-Ansatz zu einem Konzept für organisationale Kulturentwicklung. Doch was wächst, stößt an Grenzen. Deshalb wollen manche, die schon immer skeptisch waren, die ganze Idee nun begraben. Doch das wäre fatal, denn agiles Arbeiten ist aus der Arbeitswelt der Zukunft nicht mehr wegzudenken. Nötiger ist es, Agilität aufs nächste Level zu heben, damit sie sich besser entfalten kann. Die Blogserie zu Next-Level-Agility.

Claudia Thonet sitzt am Tisch mit einem Tablet vor sich und einem Stift in der Hand und blickt offen und freundlich in die Kamera

Teil 2: Gängige Ausreden – und warum wir sie abschaffen sollten

Agiles Management kann niemals eine Standardlösung sein. Es mag für Beratungen verlockend sein, Agilität als Wundermittel mit Rundumwirkung zu verkaufen, und für Unternehmen verführerisch, von ihr schnellen und unkomplizierten Schmerzlinderung zu erhoffen. Doch dauerhaft glücklich wird damit niemand werden.

Wer Agilität wirklich voranbringen will, sollte sorgfältig prüfen, welche agilen Veränderungen genau zu welchen Organisationen, Teams und Tätigkeiten passen. Denn so wie Aspirin nicht gegen einen zu hohen Blutzuckerspiegel hilft, so bringt auch Scrum nichts bei Routineaufgaben. Mit einer solchen Vorprüfung wäre schon viel gewonnen. Und wenn dann auch noch Ehrlichkeit dazukommt, falls doch einmal das falsche Rezept verschrieben worden ist (was immer mal passieren kann), dann sind die hervorragende Bedingungen für das Gelingen einer agilen Transformation geschaffen.

Zu dieser Ehrlichkeit gehört unbedingt auch, dass sich Beraterinnen und Berater nicht auf faulen Ausreden berufen, wenn die agile Transformation trotzdem scheitert. Denn das ist ebenso verlockend, wie die Wundermittel-Falle.

Ausrede 1: Der Widerstand war einfach zu groß!

Die beliebteste agile Ausrede schiebt das Scheitern einfach auf die Beharrungskräfte im Unternehmen. Die Strukturen und Prozesse sind eben viel zu tief verankert, als dass die Transformation gelingen könnte, so wird dann achselzuckend analysiert. Weil zu viele Interessen gefährdet sind, stemmen sich an allen Ecken und Ende die Strukturen ebenso wie die beteiligten Menschen gegen die Veränderung an. Keine Chance.

Die ehrliche Antwort:


Natürlich gibt es diese Beharrungskräfte und das Festhalten am Vertrauten ist immer ein wesentlicher Bremsklotz für agile Transformationen. Dieser Tatsache lässt sich aber mit eigenem Beharrungsvermögen gut begegnen: Veränderungsbegleitung heißt immer auch dranbleiben, aus Rückschlägen lernen und den Beteiligten beim schmerzlichen Loslassen des Alten helfen. Unsere Beobachtung nach braucht es sieben Sprint im Scrum, bis ein Team sich an die neue Arbeitsweise adaptiert und darin effektiv wird.

Ausrede 2: Es fehlt einfach an der richtigen Einstellung!

Eng verknüpft mit dem Beharrungsvermögen ist die Ausrede, dass das Mindset nicht stimmt – wahlweise, dass der Reifegrad im Team oder Unternehmen nicht hoch genug ist. Doch auch das ist oft zu kurz gedacht. Denn oft wird durch die Transformation selbst die Anti-Haltung verhärtet, nämlich dann, wenn sie schlecht begleitet wird. Dann entsteht schnell der Eindruck: Was bisher war, ist nicht gut genug. Für einige folgt daraus dann die bittere Erkenntnis: Ich bin nicht (mehr) gut genug.

Das Ergebnis ist ein Veränderungsparadoxon, wie es Fritz B. Simon ausformuliert hat: Der Innovationsdruck motiviert die Erneuerer in der Organisation zum Innovieren. Das führt zwangsläufig auch zum Verlernen und Zerstören des Alten, was wiederum die Bewahrer demotiviert und sie veranlasst, das Veränderungsvorhaben zu blockieren, zu verwässern oder zu ignorieren – also sich wegzuducken. Manchmal verändern sie auch die Veränderung so schnell weiter, bis sie wieder dem Alten gleicht, nur unter anderem Namen. Die Innovation scheitert dann erfolgreich und das Ganze geht wieder von vorne los, weil der Innovationsdruck am Markt zunimmt (siehe Kasten).

Diagramm Das paradoxon der Veränderung

Beispiel:

In einem internationalen Flughafen, der in der Struktur und Organisation sehr an eine Behörde erinnert, soll unternehmensweit die Software MS Teams eingeführt werden. Die internen IT-Dienstleister bieten dazu kurze Online-Schulungen an, die ausschließlich die technische Seite behandeln. Was die Einführung des Programms für die Kommunikation und Zusammenarbeit bedeuten wird und welche drastischen Nebenwirkungen das mit sich bringt, wird von niemandem angesprochen. Allerdings ahnen dies sowohl die Erneuerer, die hier neue Chancen wittern, als auch die Bewahrer, die sich beispielsweise davor fürchten, dass nun jederzeit ihr Arbeitsfortschritt transparent sichtbar ist im Team. Sie suchen deshalb Möglichkeiten, so wenig wie möglich im neuen Programm zu erledigen und finden für die tägliche Arbeit schlaue Umwege, mit denen sie ihre Ängste in den Griff bekommen. MS Teams aber läuft einfach nicht an in der Organisation.

Die ehrliche Antwort:

Hier wurden die beteiligten Menschen mit ihren Emotionen und Unsicherheiten zu sehr allein gelassen. Möglicherweise ist die Transformation im Hauruck-Verfahren eingeführt und nur auf technischer Ebene moderiert worden. Doch auch eine angemessene Begleitung auf menschlicher Ebene anzubieten und einzufordern, ist Aufgabe guter agiler Beratungen.

Ausrede 3: Die Chefetage stand nicht dahinter!

Eine dritte gern genommene Ausrede ist die, dass die Agilität nicht von oben vorgelebt wird und daher die Teams angesichts dieses Widerspruchs zwischen Ansage und Arbeitsalltag gar nicht mitziehen konnten. Auch das ist ein reales Problem für eine agile Transformation. Es so stehen zu lassen, ist jedoch eine Verfehlung auf Beraterseite.

Die ehrliche Antwort:

Auch hier gilt: Es ist Aufgabe und Verantwortung der agilen Beraterin, den Finger in die Wunde zu legen und diese Diskrepanz in der Chefetage anzusprechen. Nur wenn Agilität dort wirklich gewollt und gelebt wird, kann die Transformation gelingen. Aber das ist nichts anderes als eine Binsenweisheit, die für alle Veränderungsprojekte gilt. Und zwar eine, von der ein Berater die Verantwortlichen in jedem Fall überzeugen muss.

Ausblick:

Im dritten Teil der Serie geht es nach schlecht gemachter Agilität und billigen Ausreden endlich um das, was agiles Management so zukunftsfähig mach: Es geht um den ursprünglichen Kerngedanken von Agilität, um Selbstorganisation und um die ersten zwei Faktoren von Next-Level-Agility.

Claudia Thonet, Agile Consulting, Portrait

Claudia Thonet

Gründerin/Geschäftsführerin
Expertin für agile Transformation/agile Führung und Teams


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