Agile Führung – die agile Hierarchie: weg von Positionen hin zu Rollen

Agile Organisationen bzw. agile Teams sind entgegen der herkömmlichen Meinung sehr wohl hierarchisch – aber anders. Agile Hierarchie – das klingt vielleicht paradox – ist es aber ganz und gar nicht.

Denn es gibt eine klare Ordnung, auch wenn sie kreisförmig und vernetzt ist, innerhalb der die Unternehmensführung und die zugehörigen Funktionsbereiche und Teams organisiert sind. Ordnung und Struktur bleiben nicht nur wichtig, sie sind sogar noch bedeutsamer als in der klassischen Arbeitswelt. Denn die Struktur an sich hat schon eine Führungsfunktion.

Agilität hat also rein gar nichts mit Anarchie oder Unordnung zu tun – und erst recht nicht mit Abschaffung von Unternehmensführung. Ganz im Gegenteil: In agilen Organisationen wird sogar mehr geführt, disziplinierter gehandelt und konsequenter entschieden als in klassischen Wasserfallorganisationen – nur eben anders. Statt Positionen, die durch die Höhe des Kästchens im Organigramm bestimmt werden, wird stärkenorientiert und rollengebunden funktional geführt.

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Rolle statt Position

Dazu braucht es funktionale Rollen, die Führungsfunktionen auf Augenhöhe übernehmen. Entscheidend dabei ist, wie klar und transparent die erforderlichen Rollen beschrieben sind und wie sie gewählt werden. Rolleninhaber wie beispielsweise Scrum Master, Kanban-Owner, OKR-Master, Product Owner, agile Coaches oder auch agile Trainer/Facilitatoren übernehmen innerhalb und außerhalb der Teams anlassbezogen Verantwortung. Und nicht nur die Führung muss umdenken. Auch die Personalentwicklung ist davon betroffen. Was schreiben wir in Zukunft auf die Visitenkarten? Wie können wir Karriere in Zukunft definieren und Mitarbeiter weiterentwickeln? Das sind Fragen, die die Mitarbeiter umtreiben, und für die es Antworten braucht.

Wie funktioniert eine rollengebundene Führung überhaupt?

Führung bedeutet die Richtung zu weisen und Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Das heißt, Führung wird nicht an einem bestimmten Verhalten, sondern am Ergebnis festgemacht. Nicht der Stil ist entscheidend, sondern der respektvolle Umgang auf Augenhöhe und die psychologische Sicherheit, die durch die Führung vermittelt und gepflegt wird. Führung braucht sowohl menschenliebende wie auch innerlich aufgeräumt Persönlichkeiten. Es gibt funktionale Rollen, die Führung für definierte Aufgaben übernehmen, und es gibt temporäre Rollen, die für eine spezifische Situation genutzt werden.

Ich kenne sowohl Teams, die ihre Rollen zu einem bestimmten Prozentsatz (30–50 Prozent, je nach Aufwand des Verantwortungsbereiches) ihrer Arbeitszeit ausführen als auch „Vollzeit-Rollen“, die oftmals diese Funktion für mehrere Teams übernehmen.

Rollencanvas, Vorschaubild

Wie werden die Rollen entwickelt?

Gerade zu Beginn der Transformation eines Teams gibt es oft Verwirrung über die Aufgaben, Kompetenzen und Verpflichtungen der Rollen. Je klarer das Rolleninhaber und Team definiert haben, desto weniger Missverständnisse und Konflikte entstehen untereinander.

Nutzt dazu die Rollencanvas (siehe Vorlage) und erarbeitet gemeinsam mit dem Team:

  1. Auftrag: Im Zentrum der Rollencanvas steht der Auftrag. Beim agilen Coach könnte beispielsweise der Auftrag lauten: „Der Coach unterstützt das Team und jeden Einzelnen bei der Entwicklung hin zu einem agilen, selbstorganisierten Team. Dabei ist er Vertrauensperson und Sparringspartner, der sowohl stärkend als auch fordernd im Sinne des Kulturwandels handelt.“
  2. Do’s: Hier stehen die Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Rolle
  3. Don‘ts: Was soll der Rolleninhaber in keinem Fall tun? Wo sind Grenzen seines Handelns?
  4. Ziele/OKRs: Welche qualitativen Ziele sind mit der Rolle verbunden und was für quantitative Messkriterien werden zur Bewertung herangezogen?
  5. Kompetenzen/Fähigkeiten: Welche Fähigkeiten braucht die Rolle? Und was für Kompetenzen sind dafür erforderlich?
  6. Entscheiden: Auf welcher Stufe im Delegation Board darf der Rollenträger Entscheidungen treffen?
  7. Arbeitsprinzipien: Welche Arbeitsprinzipien charakterisieren sein Tun? Als Coach steht er beispielsweise für die Werte und Prinzipien wie Respekt, Selbstverpflichtung, Offenheit und Kommunikation
  8. Frameworks/Methoden: Welche Rahmenwerke und Methoden strukturieren sein Handeln?
  9. Ressourcen: Welche Mittel, Kompetenzen, Freiheiten, Kooperationspartner etc. kann der Rolleninhaber nutzen?
  10. Schnittstellen: Mit wem soll er sich kontinuierlich abstimmen? Wen muss er informiert halten? Welche Netzwerke pflegt er?

Wie werden die Rollen bestimmt oder gewählt?

Wie werden diese Rollen ausgewählt und besetzt? Geht es hier klassisch zu und die Rollen werden von HR als Stellen beschrieben und besetzt oder gar Top-down benannt? Oder entstehen diese funktionalen Rollen vielmehr aus dem Kollektiv heraus, bilden sich dort durch die Stärken aus und werden im Pull gezogen? Ich plädiere je nach Reifegrad für die selbstverantwortliche Wahl aus dem betroffenen Team heraus.

Erst letzte Woche durfte ich ein Führungsteam zum Thema agile Leadership begleiten und erstellte unter anderem mit ihnen eine Führungs-Team-Canvas. Nachdem sie ihren Auftrag als agiles Führungs- und Strategieteam definiert hatten (Wozu gibt es uns?), wählten sie im Team funktionale Rollen, die sie zur Erfüllung des Auftrags und ihrer strategischen Ziele (OKRs) brauchten: Einen Visionär, einen Kanban-Owner, einen Facilitator und einen OKR-Master wollten sie als Funktion zu 20 bis 30 Prozent der Arbeitszeit des jeweiligen Rolleninhabers benennen. Zunächst wurde jede der Rollen durch eine Rollencanvas genau beschrieben und definiert.

Dann wählte das Führungsteam die Rolleninhaber durch eine sogenannte Wahl aus der Mitte: Jeder, der sich für die Rolle berufen fühlte, konnte sich in die Mitte stellen. Gab es mehr als einen Bewerber tauschten die in der Mitte stehenden Rollenbewerber untereinander ihre Gründe und Argumente für die Rolle aus. Im Falle dieses Teams waren zwei Bewerber pro Rolle sogar sehr willkommen, um eine Vertretung zu gewährleisten.

Die Wahl dauerte für alle vier Rollen insgesamt nur zehn Minuten und alle waren mit dem Ergebnis einverstanden.

Claudia Thonet, Agile Consulting, Portrait

Claudia Thonet

Gründerin/Geschäftsführerin
Expertin für agile Transformation/agile Führung und Teams


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