Die 5 Kernelemente der Agilität
Es gibt unzählige Definitionen und Interpretationen über den Begriff Agilität. Bei vielen Organisationen ist der Begriff verbrannt, weil die Erlebnisse und Ergebnisse aus unterschiedlichen Gründen nicht nur ernüchternd, sondern frustrierend waren.
Oftmals wurde Agilität dabei nicht verstanden, sondern als Synonym für Veränderungsdruck und das daraus entstandene Chaos benutzt. Fast immer fehlt die Basisarbeit an der Kultur und an der Struktur.
Wir arbeiten gerne an den Strukturen und verändern damit den Kontext und ernten als Ergebnis des Prozesses idealerweise eine veränderte Kultur. Andere Coaches vertreten den Standpunkt erst an der Kultur und dem Mindset zu arbeiten als Basis der Veränderung. Das ist eine Henne – Ei Thematik und damit eine philosophische Frage. Im besten Falle arbeiten wir sowohl an der Struktur wie an Kultur und begünstigen erwünschtes Verhalten und wirken damit auf das Mindset ein.
Agile Arbeitsweisen sind an 5 Kernelemente geknüpft:
1. Kundenzentrierung, um die Bedürfnisse und Marktanforderungen von heute und morgen zu erspüren
Das Herzstück jeder agilen Arbeitsweise ist der Kunde, der im wahrsten Sinne ins Zentrum unserer Überlegungen und Handlungen gestellt wird Er ist unser heutiger und zukünftiger Arbeitsgeber und entscheidet über die Existenz jeder Organisation. Seine jetzigen Bedürfnisse zu verstehen und zu erfüllen und seine zukünftigen Bedürfnisse zu erspüren und zu explorieren ist der Sinn und Zweck all unserer Handlungen. Konkret bedeutet das zum einen im operativen Geschäft mit Stakeholder Maps, Personas, Empathy Maps und Customer Journeys zu arbeiten und sich kontinuierlich Feedback von Kunden einzufordern und dieses umzusetzen. Zum anderen werden Trends beobachtet und zukünftige Kundenbedürfnisse exploriert.
2. Selbstorganisierte Teams, die crossfunktional gemeinsame Ziele verfolgen und selbst entscheiden und planen können
Um die komplexen Anforderungen des Umfelds zu erfüllen brauchen Unternehmen crossfunktionale Teams, die die Kompetenzen innehaben, um in Sinne der Wertschöpfung für den Kunden sich selbst zu organisieren und schnelle Entscheidungen zu treffen. Das heißt aber noch lange nicht, dass damit eine totale Autonomie sinnvoll wäre oder gar immer nützlich. Selbstorganisation bedeutet, dass ein Team sich zu einem gewissen Grad selbst verwaltet und/oder gemeinsame Entscheidungen treffen kann – welche das sind, obliegt dem „Rahmengeber“. Deshalb kann dieser Begriff sehr weit und sehr breit ausgelegt werden.
Wir unterscheiden 4 Stufen:
- Selbstorganisation bezogen auf fachliche und inhaltliche Aufgaben (Stufe 1),
- Selbstorganisation die neben Stufe 1 auch die Zielsetzung beinhaltet (Stufe 2),
- Selbstorganisation, die neben 1 und 2 auch beinhaltet, dass man selbst wirtschaftet und die Finanzen plant (Stufe 3) und die höchste Stufe bedeutet neben allen vorherigen auch das Einstellen und Kündigen von Personal.
Es gibt Teams, die nennen sich selbstorganisiert und haben noch nicht mal die Spielräume von Stufe 1. Sie müssen sich für alles rechtfertigen. Sie entscheiden vielleicht über bestimmte Vorgehensweisen oder fachliche Themen, das war es aber schon. Das ist keine Selbstorganisation.
Erst wenn es keine Einmischung gibt und auch die Schnittstellen die Selbstorganisation befördern und nicht behindern, können wir von Selbstorganisation sprechen. Fortgeschrittene Selbstorganisation beinhaltet die Einstellung von Personal und das Treffen wirtschaftlicher Entscheidungen. Das hängt sehr stark auch an der Crossfunktionalität. Je mehr betriebswirtschaftliche Kompetenzen in einem Team verankert sind, desto weitreichender kann es auch entscheiden – sofern dies in der Organisation abgebildet werden kann. Die Voraussetzung alle dieser Stufen ist der Reifegrad der Beteiligten, denn Selbstorganisation braucht Mitarbeiter, die dazu wirklich fähig sind. Das setzt neben dem Mindset eben auch ein hohes Kompetenzniveau voraus. Frameworks übernehmen Führungsaufgaben zu einem Teil und sind deshalb Selbstorganisationshilfen. Sie ersetzen aber keine Mitarbeiter, die diese mit Leben füllen.
3. Iterative Arbeitsweise, um im komplexen Umfeld zu agieren und schnell zu lernen
Um uns im komplexen Umfeld zurecht zu finden, brauchen wir andere Herangehensweisen als in einfachen oder komplizieren Umgebungen. Es ist ähnlich dem Fahren auf Sicht im dichten Nebel: wir tasten uns Stück für Stück voran, immer bereit den Kurs zu ändern, sobald wir das nächste Stück des Weges erblicken können. Dazu nutzen wir kurze Sprints die wir kurzzyklisch anpassen können. Anhand der 5 Phasen des ThinkNew-Plan-Do-Check (TPDCA) Zyklus erläutern wie die Phasen solcher Iterationen.
Think New: Der agile Kreislauf beginnt mit der Vision und den zukünftigen Angeboten Kundensicht. Folgende Fragestellungen werden in crossfunktionalen Teams durchdacht und „hands-on“ entwickelt:
- Welchen Nutzen wollen wir dem Kunden in Zukunft bieten?
- Was ist das einmalige Kundenerlebnis der Touchpoints (Kontaktpunkte)?
- Welche Schmerzen wird der Kunde zukünftig haben, wie können wir diese lindern und den Nutzen für jeden Kontaktpunkt stärken?
- Welche Innovationen werden den Kunden begeistern?
- Welche neuen Produkte und Dienstleistungen binden den Bestandskunden und erschließen neue Zielgruppen?
- Wie werden wir die Wertschöpfung effektiv umsetzen? Welche Strukturen und Methoden brauchen wir dazu?
- Hierzu eignen sich innovative Frameworks wie Design Thinking und Service Design Thinking
Plan: Um die Ideen umzusetzen, werden Arbeitspakete bzw. User Stories formuliert und mit dem gesamten Team geplant. Umsetzungszeit, Priorisierung und Kapazitäten werden im Planning-Meeting mit dem Team gemeinsam geschätzt, entschieden und transparent gemacht.
Do: Iterativ wird die Umsetzung durch Frameworks strukturiert. Der tägliche Austausch über Bearbeitungsstände und der Fokus auf die Aufgaben hilft dem Team, seine Arbeitspakete schnell und effektiv zu erledigen. Ich warne immer vor falschen Erwartungen an agile Methoden: Sie werden nicht unbedingt schneller sein, doch in jedem Fall anpassungsfähiger und somit besser für den Kunden. Durch das frühzeitige Einbinden und Feedback des Kunden wird mein Produkt oder meine Dienstleistung in jeder Arbeitsphase besser.
Check: Nach einer möglichst kurzen Umsetzungsphase überprüft das Team mit dem Kunden oder Stakeholder gemeinsam die Ergebnisse und passt diese an die Anforderungen der Nutzer an. Die Review ist das passende Meetingformat für diese Phase des agilen Kreislaufs. Anschließend werden die Aufgaben entsprechend dem Feedback optimiert und angepasst.
Act: Nicht nur auf der Produktseite, sondern auch auf der Interaktionsseite wird vor der nächsten Umsetzungsphase reflektiert. Check und Adapt – Prüfen und Anpassen – ist das Motto. Die Retrospektive ist das ideale Meetingformat, um mit dem Team die Kooperation untereinander und über das Team hinaus zu reflektieren und weiterzuentwickeln.
4. Agiles Mindset zur Reflexion und Selbstaktualisierung
Unter einem agilen Mindset verstehen wir eine flexible und auf Entwicklung und Wachstum ausgerichtete Denk- und Handlungslogik. Diese Haltung hilft Individuen und Organisationen wendig und anpassungsfähig auf das Umfeld zu reagieren und ist auf lebenslanges Lernen und persönliche bzw. organisationale Weiterentwicklung ausgerichtet. Der Neurobiologe Gerald Hüther sieht eine natürliche Begeisterung der Menschen am Entdecken und Gestalten. Dieser kostbare Rohstoff verschwindet allerdings augenblicklich bei Druck, Misstrauen und Entmutigung. Die gute Nachricht ist: Entdeckerlust und Gestaltungsfreude sind nachwachsende Rohstoffe, und das ein Leben lang. Die Hirnforschung hat in den letzten Jahren viele neue Erkenntnisse geboten, wie Menschen lernen und sich ein Leben lang entwickeln. Eine der vielen spannenden Erkenntnisse lautet: ein Mensch erwirbt nur neues Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, wenn es ihn emotional berührt. Wenn die emotionalen Zentren in seinem Gehirn aktiviert werden, bilden sich an den weitverzweigten Fortsätzen des Mittelhirns neuroplastische Botenstoffe. Diese wirken wie Dünger und stimulieren das Auswachsen weiterer Fortsätze und Vernetzungen. Wir können also nur Neues als Verschaltungsmuster im Gehirn verankern, wenn wir uns darüber freuen oder begeistern. Das was es zu lernen gibt, muss wirklich bedeutsam für uns sein. Dazu kann man Mitarbeiter nicht zwingen, man kann sie nur einladen, ermutigen und inspirieren.
Das agile Mindset ist die innere Grundhaltung oder auch die Wurzel, um die agilen Werte und Prinzipien zu verkörpern.
5. Agile Werte und Prinzipien
Schon Abraham Maslow hat 1943 in seiner Bedürfnispyramide nach den physiologischen Existenzbedürfnissen die Sicherheit als zweitwichtigstes Bedürfnis des Menschen deklariert. Bedürfnisse erschaffen Werte – und Werte sind unsere inneren Motivatoren. Wenn in unserem Umfeld eine Handlung gegen wichtige Werte verstößt, reagieren wir nicht nur rational, sondern auch emotional darauf. Ist zum Beispiel Pünktlichkeit ein hoher Wert im Unternehmen, wird auf Zuspätkommen in Meetings missmutig reagiert. Steht hingegen flexible Arbeitszeit und eigenverantwortliches Handeln höher im Kurs, kann mit der entsprechenden Erklärung ein Mitarbeiter auch mal zu spät kommen, weil etwas anderes Wichtiges anstand.
Das Gute an Werten: Sie geben uns Sicherheit und dienen der Orientierung. Das Gefährliche ist: Wenn du Werte ausrufst und nicht mit Leben füllst, richtest du großen Schaden an. Dadurch zerstörst du die Basis für gute Zusammenarbeit, nämlich das Vertrauen. Vertrauen ist wie das rote Schirmchen von Reiseleitern. Die Reisegruppe läuft dem roten Schirm der Reiseleiterin hinterher, denn er gibt Orientierung. Ohne Vertrauen hast du kein Schirmchen mehr und keiner wird in Wahrheit folgen.
Auch Prinzipien bieten einen Rahmen, der aber viel kleiner ist, nichtsdestotrotz Orientierung bietet. Durch die Definition von Prinzipien kann das Management den Spielraum gestalten, den Mitarbeiter nutzen dürfen. Dies können sowohl Entscheidungs- wie auch Handlungsprinzipien sein, wobei es Überschneidungen zwischen diesen Kategorien geben kann. Nach welchen Kriterien entscheide ich? Wonach handle ich? Nehmen wir das Prinzip „wir realisieren Ideen, die vom Vertrieb kommen sofort und ohne diese zu bewerten“, so steckt darin ein Entscheidungsprinzip und ein Handlungsaspekt.
Prinzipien stärken die Selbstverantwortung. Sie richten sich an den selbstdenkenden Menschen. Der erhält dadurch einen Filter, durch den er all die tausenden kleinen Entscheidungen des Alltags vorsortieren kann. Die 12 agilen Prinzipien sind auch Entwicklungsinstrumente, sie schulen Denken – wenn es in organisationales Lernen eingebettet ist.
Prinzipien sind Strukturelemente für den Geist. Sie schulen das Denken ähnlich wie die Dialektik als Lehre von den Gegensätzen. Eingebettet in Reflexion sind sie deshalb geeignet, Denken in kleinen Schritten zu weiten, die Sicht auf anderes zu lenken und damit auch zu ändern