Agiler Kulturwandel: 5 Bausteine für ein agiles Fitnessprogramm (Teil 6 – Vision)

Was wäre ein Fitnessprogramm ohne ein motivierendes Fernziel und das Wissen, wofür sich die Anstrengungen lohnen werden? Es wäre wie ein Haus ohne Bedachung – zugig, wackelig und einsturzgefährdet: Beim ersten Widerstand würde es in sich zusammenfallen. Das Dach unseres Kulturwandelhauses steht für die Vision des Unternehmens, unter der sich alle versammeln können, weil sie Schutz und Wärme bietet und Sinn stiftet. Mit welchen Hilfsmitteln und Trainingseinheiten sie sich entwickeln lässt, steht im Fokus des letzten Teils unseres agilen Fitnessprogramms, mit dem sich die Entwicklung einer agilen Unternehmenskultur systematisch planen lässt.

Kulturwandelhaus, Vision, Claudia Thonet & Svenja Hofert

Baustein 5: Die Vision als Dach im agilen Kulturwandel

Wer Fitness macht, sieht sich vielleicht gesund und aktiv im Alter oder träumt von einem Body wie Superman. Ein Unternehmen strebt eher danach, eine Lösung für aktuelle Herausforderungen zu liefern oder will eine bestimmte Idee in die Welt bringen. Beide haben also Visionen, die sie motivieren, sich anzustrengen.

Visionen sind Bilder der Zukunft, die Lust machen sollen, sich genau dahin zu bewegen und die Sinn vermitteln, der mit Werten verknüpft ist. Dabei können diese Bilder ruhig ein wenig unrealistisch sein – visionär eben. Nicht geeignet sind Umsatzziele („Wir wollen unseren Marktanteil verdreifachen.“) oder nichtssagende Parolen („Wir sind die Besten“). Wirksame Visionen sind der Rahmen, der spezifische Ziele umfasst und diese mit Sinn und Bedeutung verknüpft. Sie geben Antwort auf Fragen wie diese:

  • Welchen Nutzen wollen wir in die Welt bringen?
  • Wie wollen wir anderen das Leben erleichtern?
  • Welchen Mehrwert wollen wir generieren?
  • Welchen gesellschaftlichen Beitrag wollen wir leisten?
  • ODER – wenn es um die Vision für den Veränderungsprozess hin zu einer agilen Kultur geht: Welches Nutzen hat der Wandel für die Organisation, für das Team und für jedes Individuum?

👉 Maßnahmen, um in puncto VISION fit zu werden

Eine Vision, die irgendwo auf der Website steht oder an einer Wand im CEO-Büro hängt, wo sie niemand sie, ist wirkungslos. Deshalb heißt die Methode der Wahl für dieses Fitnessfeld Kommunikation in all ihren Facetten – schriftlich, mündlich, visuell oder per Videobotschaft. Denn wirksam wird eine Vision erst, wenn sie so klar gezeichnet werden, dass alle in einer Firma ihre Handlungen und Entscheidungen an ihnen ausrichten können und wollen. Dann ist sie überall im Unternehmen lebendig und wirkt richtungsweisend wie ein Leuchtturm oder Abendstern – was agiles Arbeiten und Selbstorganisation selbst erleichtert, aber auch für den Wandel zur neuen Kultur motiviert. 

Deshalb gehört zu den sinnvollen Trainingseinheiten hier auch die Metakommunikation über den Kulturveränderungsprozess selbst. Ziel ist es, ein Bewusstsein zu schaffen über das Unausweichliche des Neuen und dafür Antworten geben auf Fragen wie: 

  • Welche Dringlichkeit zum Wandel besteht in den verschiedenen Bereichen unserer Organisation?
  • Wie komplex sind unsere Produkte und wie disruptiv ist unser Markt?
  • Geht es bei uns vorwiegend um die Innovation und Verbesserung des bestehenden Geschäfts, oder ist das Ziel, Neues zu explorieren?
  • Wie werden wir beidem gerecht?

Dabei sollten alle im Unternehmen eingebunden werden, und die Gelegenheit bekommen, über die eigenen Herausforderungen, ihre Bedenken und Sorgen, aber auch die Chancen der Veränderung und das gemeinsame Lernen im Prozess zu sprechen. 

Wichtig ist es, gute Kommunikationskanäle und -strukturen zu schaffen. Es reicht nicht, diese Aufgabe der Kommunikationsabteilung zu überlassen, die gesteuert und feingeschliffen über Erfolge berichtet. Kommunikation, die auf die Vision einzahlt, beinhaltet auch das Sprechen über Fehler, Misserfolge und Fehlplanungen. Sie sollte auch von internen Coachs, Scrum Mastern und Product Ownern und alle anderen an Schnittstellen, z.B. zwischen Abteilungen, vorangetrieben werden. Und natürlich sind auch die oberen Führungsebenen wirkungsvolle Agilitätstreiber, wenn sie als Vorbilder voranschreiten und über ihre eigenen Herausforderungen und Learnings reden.

Die Vision entwickeln

Wie aber kommen wir zu der Vision? Um ein Zielbild zu entwickeln, das nicht nur rational, sondern auch emotional greifbar wird, geht man von möglichst konkreten Fragen aus – etwa: Wie wollen wir von unseren Kunden gesehen werden? Wer wollen wir auf dem Markt sein? Oder: Wie wird unsere Zusammenarbeit in einer zukünftigen agilen Unternehmenskultur genau aussehen?  

Auf dieser Basis lassen sich gemeinsam mit den Mitarbeitenden kreativ Zukunftsbilder erstellen. Dafür eignen sich sehr gut Formate, die mit Kreativtechniken wie Lego Serious Play oder auch künstlerische Materialien nutzen. Damit gestalten die Beteiligten ihre Vision ganz handfest und integrieren Kunden, Organisation und die Mitarbeitenden in ihr Bild der Zukunft. Und das muss ja nicht realistisch sein – aber gern bunt, überraschend und emotional ansprechend! Entscheidend ist die eigene Interpretation des Entstandenen, die gemeinsam mit den anderen Interpretationen schließlich zu einem Fazit aus ein paar Sätzen zusammengeführt werden.

Aus diesem Fazit wird schließlich eine Vision formuliert wird, die dann Strahlkraft entfalten kann und für die sich Teams engagieren werden. Eine agiles Strategiesystem hilft dann, den Weg zur Vision sinnvoll zu planen, z.B. mit Objectives and Key Results (OKRs).

Fazit: Agiler Kulturwandel heißt Dranbleiben

Umfassende Fitness aufzubauen, bedeutet sehr viel mehr als schnelles Muskeltraining. Es ist ein langwieriger und facettenreicher Prozess, der neben Körperübungen auch eine gute Ernährung und mentales Training umfasst – und der im Grunde nie endet. Bei Agilität ist das nicht anders: Um wirklich agil zu werden und zu bleiben, reicht es nicht, ein paar agile Tools einzuführen. ist eine beständige Arbeit an Kultur und Struktur erforderlich. Die Grundannahmen, das Mindset, das Verhalten, die passenden Architektur und die Vision werden immer wieder hinterfragt und falls nötig weiterentwickelt. 

Mit dem Fitnessprogramm lässt sich die Übersicht über den stetigen agilen Kulturwandel behalten. Mit ihm lassen sich die verschiedenen Bereiche separat betrachten und Interventionen jeweils spezifisch planen. So könnte für die erste Säule – also die Mindset-Entwicklung – ein Reflexionszirkel für Führungskräfte geplant werden. Für die zweite Säule – die Entwicklung des gewünschten Verhaltens – könnte sich eine Führungskräfteausbildung anbieten, die den Fokus auf Selbstorganisation legt. Und für die dritte Säule – Architektur & Design – könnte in einer Abteilung „Scrum im Projektmanagement“ als Prototyp eingeführt werden. 

Wichtig ist, dass das agile Fitnesstraining nach und nach alle Bereiche berücksichtigt. Es genügt nicht, dass die Beteiligten vertrautes Verhalten und Denken verlernen und neue Handlungsmuster einüben. Gleichzeitig sollten auch die Prozesse und Teamzuschnitte unter die Lupe genommen und werden. Denn kein Kulturwandel funktioniert ohne Strukturwandel. Die Kunst besteht in der alternierenden Abfolge zwischen den Dimensionen (Mehr dazu hier). 

Denn Kulturwandel ist komplex wie ein großes Puzzlespiel. Mit einem Unterschied: Anders als das Puzzle wird er nie fertig sein, sondern ständig erweitert werden. Aber das ist bei den Herausforderungen an die eigene Fitness mit zunehmendem Alter ja auch der Fall. Wer fit und agil bleiben will, lehnt sich nie zurück!

Claudia Thonet

Gründerin/Geschäftsführerin
Expertin für agile Transformation/agile Führung und Teams


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