Serie Retrospektiven • Teil 1: Wie gelingen Retrospektiven?

Bei einer Retrospektive betrachten Teams ihre Wir-Kultur und lernen aus dem Vergangenen, um besseren Outcome zu erreichen. Diese Fragen beantwortet beispielsweise die agile Retrospektive:

  • Wie haben wir in dem letzten Zyklus zusammengearbeitet?
  • Was macht uns aus?
  • Welchen Teamgeist pflegen und strahlen wir aus?
  • Was sind unsere Stärken und wie können wir diese festigen?
  • Was können wir im Zusammenspiel optimieren?
  • Wie lernen wir am besten aus unseren Fehlern und meistern bestehende Hürden?

Dazu wird die vergangene Iteration und gemeinsame (tägliche) Routinen in einer strukturierten Form reflektiert und bewertet. So kommen Probleme und Schwierigkeiten direkt und ohne Umschweife ans Licht. Gemeinsam werden die Hintergründe dazu erforscht und verstanden, um zusammen daraus zu lernen und konkrete Schritte – Action Items – zu vereinbaren.

Unabhängig von agilen Projekten und Frameworks halten wir Retrospektive für den Erfolgshebel schlechthin, um Teams in einen hohen Reifegrad zu führen. Je nach Dauer der Iteration, Teamzustand und Reifegrad sollte es außerhalb von täglichen Routinen einen Retrospektiven-Zyklus von vier bis zwölf Wochen geben. Das Meeting braucht einen geschützten Rahmen, professionelle Moderation und ein Zeitfenster zwei bis drei Stunden.

Wozu dienen Retrospektiven?

Retrospektiven bringen Teams und einzelne Mitglieder in ihrer Entwicklung weiter, sorgen für eine komprimierte Teamentwicklung und erhöhen den Reflexionsgrad des Teams. Für interdisziplinäre Teams ist das ein absolutes Muss, um mit der Divergenz untereinander umgehen zu können. Für eine effektive Selbstorganisation braucht es einen hohen Reifegrad. Dieser entsteht aber nicht zufällig, sondern ist das Ergebnis konsequenter Arbeit an der gemeinsamen Entwicklung.

Warum werden Retrospektiven eingesetzt? 

Leider wird diese Frage viel zu häufig gestellt und mit ausgefallenen und schlecht moderierten Retros beantwortet. Meetings in denen Menschen auf sich und ihre Interaktionen schauen sind zutiefst beunruhigend und unbequem. Und unbequemen Dingen wollen wir natürlicherweise ausweichen. Gleichzeitig sind unserer Erfahrung nach konstruktive und lösungsorientierte Teamzusammenkünfte der Schlüssel zum Glück. Wer wünscht sich nicht Teil eins Teams zu sein in dem jeder in seinem Wesen akzeptiert, in seinen Stärken gefördert und in seiner Entwicklung befeuert wird? Das fällt nicht vom Himmel, sondern ist das Resultat konsequenter Reflexion und Beziehungsarbeit untereinander und mit sich selbst. 

Wie laufen Retrospektiven ab?

Retrospektiven werden gut vorbereitet: Der Master, der Moderator oder der agile Coach wählt eine zum Team und zur Teamstimmung passende Retrospektivenmethode aus und bereitet alle Materialien vor. Das funktioniert online auch sehr gut. Außer bei Konflikten die bereits eskaliert sind … dazu würden wir immer eine Präsenz Retro empfehlen. 

Wir vermitteln in unseren Ausbildungen zum agilen Coach oder Trainer eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden für gute Retros. Die Anforderungen an den Moderator sind vielschichtig und erfordern Erfahrung und Moderationskompetenz.

Retrospektiven haben fünf Phasen, die jeweils individuell konzipiert und moderiert werden:

  1. Einloggen: Holt alle Teilnehmer mit ins Boot und klärt den Sinn und Zweck.
  2. Themen erheben und bewerten: Reflektiert die letzte Iteration. Sammelt und priorisiert die Themen.
  3. Hintergründe verstehen: Ergründet die Ursachen und Zusammenhänge für Missverständnisse, Schwierigkeiten oder Hindernisse.
  4. Themen lösen und entscheiden: Trefft im Team gemeinsam Vereinbarungen und Entscheidungen, die die Kooperation und den Teamgeist fördern.
  5. Ausloggen: Lasst alle Beteiligten ihr Feedback zur Retro geben und sorgt für einen guten Abschluss.

Welche typischen Hürden gibt es? 

  • Halbherzig vorbereitete oder schlecht moderierte Retrospektiven richten mehr Schaden an, als sie Nutzen bringen. 
  • Der Moderator braucht immer eine neutrale Haltung und professionelle Distanz. Sobald er als Teammitglied eigene Interessen verfolgt, ist er nicht mehr in der Lage, der Aufgabe gerecht zu werden. 
  • Befindlichkeiten und ungünstige Interaktionen untereinander wie gegenseitige Schuldzuweisungen sind oftmals anstrengend und destruktiv. Sorgt für radikale Akzeptanz der verschiedenen Charaktere. „Jeder ist als Mensch eine Zehn“ – das ist unser Slogan. Keiner ist mehr wert oder als Mensch den anderen überlegen. 
  • Fehlendes Vertrauen macht Retrospektiven zu einer Farce. Denn ohne psychologische Sicherheit sagt keiner mehr, was er wirklich denkt – die relevanten Themen werden unter den Teppich gekehrt.
  • Vermeidet von Retro zu Retro „mitgeschleppte“ Themen und sucht immer direkt und gemeinsam nach einer Lösung.
  • Achtet darauf, dass die Retrospektive auch zeitlich nicht aus dem Ruder läuft und wie bei den meisten nicht agilen Meetings zu einem Zusammentreffen wird, bei dem zu viel (Irrelevantes) und ohne echtes Ergebnis geredet wird.

Schaut euch vor der Retro das Team genauer an und schätzt die Teamphase ein. Je nach Entwicklungsphase hat das Team unterschiedliche Bedürfnisse oder Herausforderungen, die es zu meistern gilt. 

Wie funktionieren Retros in der Online-Variante?

Noch Anfang 2020 habe ich agilen Team geraten alle Meetings außer den Retrospektiven bei Bedarf remote zu machen. Doch gerade bei der Reflexion der Zusammenarbeit war ich überzeugt: das gelingt nur in Präsenz wirksam. Mittlerweile haben wir selbst unzählige Retros online durchgeführt. Wirksam und relevant waren sie unter drei Vorrausetzungen:

  1. Alle haben die Kamera an und sehen sich
  2. Es wird ein Kollaborations-Tool genutzt auf dem alle gemeinsam arbeiten und visualisieren können.
  3. Es gibt break out Räume, in denen Kleingruppen etwas erarbeiten können oder ein Zweier Gespräch möglich ist. 

Die Retrospektive ist meines Erachtens das Kernelement agiler Prozesse. Wir sollten regelmäßig überprüfen und offen diskutieren, wie die Zusammenarbeit funktioniert, damit wir so sicherstellen, das Teams wirklich an einem Strang ziehen und effektiv zusammenarbeiten.

Claudia Thonet, Agile Consulting, Portrait

Claudia Thonet

Gründerin/Geschäftsführerin
Expertin für agile Transformation/agile Führung und Teams


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